de-logo.jpg

Eine Delegation von 18 Landwirten und Beschäftigten der Bio-Branche aus der Ukraine bereist derzeit Bio-Betriebe in der Region Lüneburg. Am Donnerstag waren sie bei Ralf Weber auf dem Bauckhof in Amelinghausen.

Theresa Brand

21.09.2025

IMG 9897Amelinghausen. Yuliya Voroshchuk ist Mitinhaberin von Osio Organic, einem Bio-Betrieb in Jahotyn nahe Kiew. Auf 19 Hektar bauen sie und ihre Mitarbeiter Gemüse, Nüsse und Beeren an – seit 2022 immer mit der Angst, durch einen Angriff aus Russland getroffen zu werden. Gemeinsam mit 17 weiteren Ukrainerinnen und Ukrainern ist sie im Zuge eines Projektes der „German-Ukrainian Cooperation in Organic Agriculture“ unter der Leitung von Stefan Dreesmann für zwei Wochen in Deutschland und besichtigt dort Bio-Betriebe in der gesamten Region. Am Donnerstag steht der Bauckhof in Amelinghausen auf der Agenda. 

Zwei Dolmetscherinnen übersetzen abwechselnd per Headset, was Ralf Weber beim Rundgang über seinen Betrieb erzählt. Es ist die siebte Station auf ihrer Reise durch die Landkreise Uelzen, Lüchow-Dannenberg und Lüneburg. – Angekommen sind die Ukrainer am Sonntag nach einer zweitägigen Busfahrt von Kiew nach Altenmedingen. Lange war nicht sicher, ob alle es über die Grenze schaffen. Denn einige der Männer sind in einem Alter, in dem sie jederzeit für die Armee eingezogen werden könnten. Trotzdem kann sich keiner von ihnen vorstellen, das Land zu verlassen.

„Das Land kann nicht auf bessere Zeiten warten“

„Die Himbeeren warten nicht, bis der Krieg vorbei ist“, sagt Yuliya Voroshchuk. „Das Land kann nicht auf bessere Zeiten warten, wir müssen weiter anbauen. Und unsere Angestellten brauchen Arbeit.“ Bis jetzt hatten sie Glück, wurden noch nicht getroffen. Probleme gibt es trotzdem genug: Viele ihrer Mitarbeiter sind an der Front, einige bereits gefallen. Die Hälfte ihrer Kunden kann sie seit Kriegsbeginn nicht beliefern – stattdessen verkauft sie die Ware auf dem lokalen Markt. Wegen der häufigen Stromausfälle gibt es Probleme mit der Bewässerung. „Alles ist schwierig in unserem Leben, aber wir kommen zurecht. Wir wissen, dass am Ende alles gut wird“, erklärt die Landwirtin.

Volodymyr Olkhovyk lebt in Lutsk, im Westen der Ukraine, wo er mit einem Freund ein Unternehmen für die Verarbeitung von Kräutern und Beeren betreibt. „Der Krieg ist eine sehr große Herausforderung, sowohl sozial als auch wirtschaftlich“, sagt der 38-Jährige. Ihr Betrieb wurde vor einigen Monaten bei einem Angriff von russischen Raketen getroffen, die Dächer einiger Gebäude wurden zerstört. „Das Wichtigste ist, dass alle am Leben geblieben sind“, erklärt er. 

Sein Freund ist bei der Armee, er betreut das Unternehmen

Volodymyr sieht es als seine soziale Verantwortung, auch während des Krieges weiter in der Ukraine zu leben und das Land zu bewirtschaften. Bereits zu Kriegsbeginn hat er sich mit seinem Freund geeinigt: „Er ist zur Armee gegangen, ich betreue das Unternehmen – sonst würden alle ihre Arbeit verlieren.“ Trotzdem kann auch er jederzeit eingezogen werden - unterkriegen lässt sich der Ukrainer davon nicht. „Vor einem Jahr erst haben wir unsere Eigenmarkte ,Travka‘ entwickelt. Das sind Kräutertees und Mischungen mit getrockneten Beeren.“ 

Als die Gruppe bei den Kühen Halt macht, wird Karatsuba Vasyl lebendig. Immer wieder stellt er Ralf Weber Fragen, die Dolmetscherin übersetzt. In der Nähe von Chernihiv bewirtschaftet der Ukrainer einen Betrieb mit gut 100 Kühen, verarbeitet Milch und Fleisch. Sein Unternehmen war einen Monat lang unter russischer Besatzung, wie er erzählt: „Wir durften unsere Produkte nicht verkaufen, also haben wir die Milch an die Leute im Dorf verschenkt.“Знімок екрана 2025 10 21 о 17.23.10

Der ukrainische Bio-Landwirt Karatsuba Vasyl (rechts) fragt Ralf Weber nach Einzelheiten seiner Melkmaschine.

Quelle: tbr

Auf die Frage, warum er weitermacht, schweigt er eine Weile. „Wenn man in der Ukraine weiter leben will, braucht man Lebensmittel. Wir haben vielleicht kein hohes Einkommen, aber wir versorgen die Bevölkerung mit unseren Produkten. Das ist der Teil, den ich zum Sieg beitragen kann“, sagt der Landwirt schließlich. Auch wenn die Bedingungen hart sind: „Unsere Anlagen sind zum Teil noch aus der Sowjet-Zeit. Wir haben nicht solche Technik wie hier, auch der Strom fällt oft aus“, erklärt er. Nur durch die Unterstützung der deutschen Kooperationspartner konnte er einen Stromgenerator anschaffen und die schwierigste Zeit überbrücken. 

Eine besondere Art der Landwirtschaft betreibt Volodymyr Fedorenko. Er ist Teil einer Gesellschaft für Veteranen und deren Familienmitglieder. In 19 Gewächshäusern bauen sie im Süden der Ukraine Gemüse an. – Zeitweise war die Front nur gut 30 Kilometer entfernt, einige Gewächshäuser liegen in der besetzten Zone. Von den insgesamt 27 Mitgliedern arbeiten derzeit nur 14 in den Gewächshäusern – allesamt Frauen, denn die Männer sind bis auf Volodymyr bei der Armee. Er selbst wurde an der Front schwer verletzt, kann deshalb nicht mehr kämpfen. 

Veteranen ein Leben nach dem Krieg ermöglichen

„Unser Anliegen ist es, Veteranen eine Arbeitsstelle zu geben und zu zeigen: Es gibt ein Leben nach dem Krieg“, erklärt der 52-Jährige. Vor einigen Wochen wurde nicht weit von ihm eine Rakete abgeschossen. Durch die Explosion wurden einige Gewächshäuser beschädigt, zu Schaden kam zum Glück niemand. Stolz zeigt der Veteran ein Foto von sich in Armeeuniform. Er glaubt fest an einen Sieg der Ukraine.

Ziel des Projekts, das vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung unterstützt wird, ist es, den Bio-Anbau in der Ukraine zu fördern und zu unterstützen, wie Stefan Dreesmann erklärt. Durch ihr Engagement gibt es inzwischen auch in der Ukraine ein Gesetz für den zertifizierten Bio-Betrieb. Bereits 290 Betriebe haben das Zertifikat inzwischen erhalten. Er selbst war allein in diesem Jahr zwei Mal in der Ukraine, um dort Fortbildungen zu geben und die Zusammenarbeit mit den Behörden zu stärken. 

„Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er beim Alarm in den Luftschutzkeller geht“

Yuliiа Sliepienkova, Dolmetscherin

Neben den Landwirten sind bei der Reise unter anderem Vertreter von ukrainischen Bio-Beratungsorganisationen, der ukrainischen Verbraucherschutzbehörde, die Leiterin des wissenschaftlich-methodischen Zentrums der Ukraine und zwei Dolmetscherinnen dabei. Eine von ihnen ist Yuliiy Sliepienkova. 

Die 31-Jährige lebt im Zentrum von Kiew. „Am Anfang war jeder Luftalarm für uns stressig, aber inzwischen haben wir uns daran gewöhnt“, erzählt sie. Die Gebäude rechts und links neben ihrem Wohnhaus wurden bei Bombenangriffen getroffen, sie ist bislang verschont geblieben. „Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er beim Alarm in den Luftschutzkeller geht“, sagt sie, „das ist Selbstmanagement.“ Die Stadt zu verlassen kann sie sich nicht vorstellen: „Ich mag Kiew. Und meine Familie lebt in Mariupol, ich möchte sie nicht im Stich lassen.“

Montag geht es zurück in die Ukraine

Am Ende des Hofrundgangs und einer Fahrt zu den Feldern steht ein gemeinsames Mittagessen mit Ralf Weber und seiner Frau Michaela auf dem Plan. Im Anschluss geht es direkt weiter: Für diesen Tag stehen der Bauckhof in Klein Süstedt und die Bauck Mühle in Rosche an.

Am Abend wird die Niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte die Delegation besuchen. Am Montag geht es für die Ukrainer wieder zurück in die Heimat – nach einer Woche ohne die ständige Gefahr russischer Angriffe.

LZ/WA