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Anastasiya Volkova ist Leiterin der NGO ‚Permakultur in der Ukraine’ und Mitglied des Kernteams der NGO ‚Global Ecovillage Network Ukraine’. Die ökologische Aktivistin lebt und koordiniert zusammen mit anderen ein Ökodorf rund 80 Kilometer südlich von Kyjiw. bioPress konnte sie dank Vermittlung des Projekts Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau (COA) zur aktuellen Situation und den Zukunftsperspektiven befragen.

bioPress-Korrespondent Peter Jossi im Gespräch über ukrainische Ökodörfer in Kriegszeiten

bioPress: Ecovillages, Greenroad – geben Sie uns bitte einen Überblick über die Projekte, an denen Sie beteiligt sind.

Anastasiya Volkova: Vor elf Jahren zog ich in das Ökodorf Zeleni Kruchi in der Zentralukraine, entdeckte, was Permakultur ist, und leitete die bereits bestehende Organisation ‚Permakultur in der Ukraine‘. Bereits am zweiten Tag des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine schlossen sich beide Organisationen zusammen und starteten das Projekt ‚Green Road’ (Grüne Landstrasse), ein Netzwerk von Orten auf dem Land, die Binnenvertriebene aufnahmen.

bioPress: Permakultur – welche Rolle spielt sie für Ihre Gemeinschaft und als Prinzip?

Volkova: Meine persönliche Absicht, in einem Ökodorf zu leben, war es, mein eigenes Essen anzubauen. Anfangs wusste ich überhaupt nichts darüber, aber als ich von Permakultur erfuhr und den Permakultur-Design-Kurs absolvierte, verliebte ich mich in diesen Ansatz, da er eine ganzheitliche Sichtweise der Landwirtschaft in Harmonie mit der Natur und unter Berücksichtigung der Menschen darstellt.

bioPress: Heute bieten Sie sogar Bildungsprogramme zur Permakultur an…

Volkova: Ich wollte, dass meine Nachbarn mehr darüber erfahren und organisierte eine Schulung in meiner Gemeinde. Die Veranstaltung war erfolgreich und wir wiederholten sie immer wieder. So entstand unser Schulungszentrum als Teil des Netzwerks der Permakultur-Zentren in der Ukraine. Das Ziel ist es, das Wissen über nachhaltige Landwirtschaft so vielen Menschen wie möglich zu vermitteln. Viele der Teilnehmenden an unseren Schulungen stammen aus der Stadt und haben beschlossen, aufs Land zu ziehen. Sie wollen jedoch auf eine andere Weise mit der Erde arbeiten als es ihre Großeltern getan haben. Wir zeigen, wie es möglich ist, einen nachhaltigen Garten anzulegen, der nicht nur Nahrung liefert, sondern auch schön ist und Insekten, Tiere und die biologische Vielfalt respektiert. Mittelweile besuchen auch Kriegsvertriebene, die ihre Heimat verlassen mussten, unsere Schulungen. Nun leben sie auf dem Land, was für sie eine neue Erfahrung ist, und sie wollen lernen, wie sie sich selbst versorgen können.

bioPress: Sie sprechen es an: Die Ecovillages dienen auch als Zufluchtsort…

Volkova: …als die Bomben auf die Städte fielen, flüchteten die Menschen aufs relativ sichere Land. Den Weg in unsere Gemeinschaften fanden zuerst Befreundete und Verwandte. Viele öffneten darüber hinaus ihre Türen auch für unbekannte Menschen und boten verlassene Häuser an. Die Gastgeber:innen stellten Lebensmittelvorräte zur Verfügung, als in der schlimmsten Zeit die Regale der Supermärkte leer und die Lebensmittelketten unterbrochen waren. Praktische Fragen der Unterbringung von Menschen stellten eine Herausforderung dar: Die Häuser waren meist nicht ausreichend ausgestattet. Die Koordinationsverantwortlichen des Green-Road Projekts aus der gesamten Ukraine sammelten Spenden von unseren Freunden im Ausland und stellten Förderanträge für Anschaffungen wie Waschmaschinen, Kühlschränke, Betten. Es ging darum, lebbare Bedingungen für die Familien zu schaffen, die oft nur mit einer Tasche kamen. Einen Monat nach Beginn des Projekts gab es 70 Standorte in der Ukraine, an denen unsere Lebensgemeinschaften und Bauernhöfe ihre Türen für ukrainische Flüchtlinge öffneten. Insgesamt fanden rund 3.000 Menschen zeitweise Zuflucht. Die meisten von ihnen blieben nur für einige Zeit, bevor sie zur westlichen Grenze weiterreisten oder einige Zeit später nach Hause zurückkehrten.

Viele sind jedoch geblieben. Heute zählen wir etwa 300 Menschen die in unseren Gemeinschaften eine neue Heimat gefunden haben. Nur ein Beispiel: In meiner Gemeinde gibt es eine Familie mit einem Jungen, die zunächst für einige Tage zu uns kam. Aber schließlich kauften sie ein Haus und wurden aktive Mitglieder unseres Ökodorfes. Meine Eltern kamen in das Haus einer anderen Familie, die ins Ausland gegangen ist. Sie leben immer noch bei uns, helfen viel bei der Gartenarbeit und verbringen viel Zeit mit ihrer Enkelin – das wäre ohne den Krieg nicht so gewesen.

bioPress: Wie hat sich die Gemeinschaft insgesamt verändert – und Ihre Aktivitäten?

Volkova: Der Krieg hat unsere Gemeinschaft sehr verändert. Neue Menschen kamen hinzu. Mit Hilfe unserer Freunde und Unterstützer konnten wir unsere Infrastruktur verbessern. Wir verfügen nun zum Beispiel über ein kleines Gemeinschaftshaus. Die Familien, die zu Hause noch kein Bad haben, können hier duschen und die Waschmaschine benutzen. Was noch wichtiger ist: Wir haben in unserer Gemeinschaft eine kleine Solaranlage mit Batterien zum Strom speichern, übrigens dank der deutschen Unterstützung. Dadurch stehen uns zumindest rund um die Uhr Wasser und Internet zum Arbeiten zur Verfügung. Wir konnten drei Gewächshäuser errichten und unsere Gärten vergrößern, um mehr zu produzieren und immer Vorräte zu haben. Wir organisieren weiterhin Schulungen in Permakultur und Gemeinschaftsbildung. Dies verschafft einerseits für die Gemeindemitglieder ein Einkommen und zeigt andererseits den Menschen, die zu uns kommen auf, wie sie auf dem Land nachhaltig leben gestalten können.

Mein Garten und die Arbeit mit Pflanzen hilft mir, gesund zu bleiben und gibt mir Energie, um in einem Land weiterzuleben, in dem Krieg herrscht, in dem die Nachrichten jeden Tag herzzerreißend sind, in dem es ständig Stromausfälle gibt und man nicht weiß, wann das alles aufhören wird und welche Zukunft unsere Kinder erwartet.

bioPress: Was kann die Permakultur für die Entwicklung der ukrainischen Gesellschaft und die Ernährungssicherheit leisten?

Volkova: Mit unserer Arbeit können wir den Menschen beibringen, wie sie sich auf ihrem kleinen Stück Land selbst versorgen können. Dies ist äußerst nützlich angesichts der unvorhersehbaren Bedingungen, wenn man nicht weiß, was der morgige Tag bringen wird. Aber wir beschäftigen uns in unserer Arbeit nicht nur mit landwirtschaftlichen Themen, sondern auch mit ‚sozialer Permakultur’, also dem Aufbau von Beziehungen zu anderen Menschen. In der Ukraine gibt es jetzt so viel Stress und Müdigkeit. Es besteht ein enormer Bedarf an Rehabilitation, an der Wiedergesundung von ehemaligen Kämpfern, ihren Familien, Kindern und generell allen Ukrainerinnen und Ukrainern, die durch den Krieg traumatisiert sind.

Unsere Organisation hat bereits begonnen, in dieser Richtung zu arbeiten. Wir bieten Kurse für Gartentherapie, unsere Standorte bieten Tiertherapie und Floristik an. Wir wollen unsere Permakultur Zentren zu Rehabilitationszentren ausbauen, in denen Menschen durch die Natur, gutes Essen und zusätzliche Praktiken geheilt werden können.

bioPress: Wo sehen Sie Permacultura Ukraina in fünf Jahren?

Volkova: Ich sehe meine Organisation im Kreis einer starken Bewegung von biologischen, biodynamischen und naturschützenden Organisationen, die gemeinsam am Wiederaufbau der Ukraine arbeiten und sie zu einem wohlhabenden Land machen. Wir haben so viel zu kämpfen und unser Volk ist so mutig und widerstandsfähig, dass wir erfolgreich sein müssen.

 

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